Chancen und Potenziale für den Health Care Bereich
Eine alternde Bevölkerung, geringe Geburtenrate und ein Mangel an Ärzten – all das sind Phänomene, die in vielen westlichen Ländern eine Herausforderung für die Gesundheitsversorgung darstellen. Fast parallel dazu verläuft eine immer stärkere Digitalisierung. Ein Ergebnis dieser Veränderungen ist die Telemedizin.
Das E-Health-Gesetz, das seit dem 1. April 2017 in Kraft ist, hat in Deutschland einige Wege für die Implementierung von telemedizinischen Angeboten geebnet. Welches große Potential telemedizinische Anwendungen darüber hinaus haben, zeigt auch ein Blick in andere Länder.
3 Beispiele für Telemedizin: USA, Schweiz, Skandinavien
USA: Dr. Chrono und SafeWatch
Die Plattform Dr. Chrono in den USA bindet Patienten und Ärzte stärker in den Behandlungsprozess über Wearables ein. Patienten können sich so nicht nur an ihren Arzttermin erinnern lassen, sondern auch Vitaldaten erfassen, speichern und dem Arzt zur Verfügung stellen. Die Ärzte können die Daten direkt auswerten, verarbeiten und entsprechende Rezepte und Therapievorschläge online an den Patienten übermitteln.
Ein weiteres interessantes Beispiel aus den USA ist SafeWatch. Mit diesem Programm wurde auf den Mangel an Intensivmedizinern in Krankenhäusern reagiert. Mit Safewatch ist es möglich, 24 Stunden sogar über fünf Bundesstaaten hinweg die Vitalwerte von kritischen Patienten zu überwachen und ggf. darauf zu reagieren.
Telemedizin in der Schweiz: MedGate
Video-Chat mit dem Arzt
In der Schweiz gibt es mit MedGate das größte ärztlich betriebene telemedizinische Zentrum Europas. Gegründet wurde es 1999 von einem Schweizer Chirurgen und Flugrettungsarzt. An sieben Tagen in der Woche arbeiten hier 70 Ärzte rund um die Uhr und behandeln Patienten aus der Ferne. Per Telefon, Internet oder Video-Chat kontaktieren die Patienten MedGate und landen erst einmal, wie in einer Praxis, beim Patientenempfang. Hier werden Personalien und Krankheitssymptome aufgenommen. Anschließend bespricht ein Arzt per Telefon oder Video-Chat dann die Behandlung mit dem Patienten, stellt ggf. Rezepte und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus. Pro Tag werden so bis zu 4.900 zielgerichtete Beratungen durchgeführt.
Skandinavien: Betreuung und Versorgung von Senioren
Vor allem Finnland und Schweden spüren bereits die Auswirkungen der Demographie. In Sachen Versorgung von älteren Menschen sind insbesondere die Finnen Vorreiter. Hier werden vielseitige Angebote zur Verfügung gestellt, um Gesundheit und Wohlbefinden der älteren Generation zu erhalten. Prävention, Bewertungssysteme und die Definition von Versorgungsstandards sind dabei wichtige Punkte, um das übergeordnete Ziel - eine bestmögliche Patienten-Versorgung - zu erreichen. Beispiele hierfür sind z.B. Medikamentenerinnerungshilfen oder Nachtlichter mit Bewegungsmelder, aber auch die Versorgung mit warmen Mahlzeiten, die bei Bedarf auf digitalen Wegen organisiert wird.
Ambulante Versorgung durch Online-Sprechstunden
Aber auch bei der Telemedizin sind die Skandinavier schon weiter. Insbesondere in dünn besiedelten Gegenden ist die Online-Sprechstunde Standard. Zum Beispiel werden in Nordnorwegen Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten nach ihrer Behandlung im Krankenhaus zu Hause u.a. mit Unterstützung von Wearables betreut. Ausgestattet mit speziellen Laptops und einem Ergometer werden Messwerte erfasst und an das Krankenhaus geliefert. Und auch die Physiotherapie wird per Video-Chat vorgenommen und das Training auf dem Ergometer aus der Ferne begleitet. All dies ermöglicht den Patienten, frühestmöglich wieder zu Hause zu sein und erspart Arzt und Patienten lange Anfahrtswege.
E-Health in Deutschland
Bis ins hohe Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ist den meisten älteren Menschen auch in Deutschland ein hohes Gut. Und die Medizintechnik leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ergab: 61 Prozent der Befragten würden sich im Alter selbst bei schwerer Krankheit am liebsten zu Hause behandeln lassen, nur 18 Prozent zogen das Krankenhaus vor.
Medizintechnik essentiell für die ambulante Versorgung
Versorgungsprobleme auf dem Land, der Einfluss des demographischen Wandels und auch Kostenprobleme ließen sich mit obengenannten Modellen auch in Deutschland entgegenwirken und entsprechende Modellprojekte in Brandenburg und Baden-Württemberg erfreuen sich großer Erfolge.
In Siegen startet demnächst ein Modellstudiengang in Kooperation mit den Universitäten Bonn, Köln, Mainz und Rotterdam. Zukünftige Ärzte sollen dort alle Möglichkeiten der digitalen Medizin studieren und in Praktika anwenden. Und auch in puncto Ärztemangel auf dem Land führt die Universität Siegen ein Modellprojekt durch. Laien sollen nach einer speziellen Schulung und mit entsprechender Labortechnik ausgestattet dazu in der Lage sein, Patientendaten zu ermitteln und an Ärzte weiterzuleiten.
Telemedizin bietet Alternativen
Das seit April 2017 in Kraft getretene E-Health-Gesetz biete für die Umsetzung telemedizinischer Anwendungen erste Möglichkeiten, allerdings mit Einschränkungen. Zwar sollen Informations- und Kommunikationstechnologien sektorenübergreifend in der Gesundheitsversorgung etabliert werden, was den Datenaustausch zwischen Praxen, Krankenhäusern, Apotheken und anderen Akteuren des Gesundheitssystems stark vereinfacht, aber die Videosprechstunde ist bislang nur eingeschränkt möglich. Auch den Einsatz von Wearables sehen viele Ärzte kritisch und bemängeln, dass die Daten evtl. falsch oder nicht verlässlich genug sind.
Prävention und ambulante Versorgung
Immerhin übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in bestimmten Fällen die Kosten für medizinische Internet-Konsultationen: Wenn es sich dabei um einen Nachsorge-Termin handelt, zum Beispiel die visuelle Nachkontrolle einer OP-Wunde und, wenn der Patient sich zuvor persönlich in der jeweiligen Praxis vorgestellt hat. Trotz Hürden ist das Potenzial im telemedizinischen Bereich für Med-Tech Unternehmen hoch – besonders beim Aspekt der Nachsorge und Monitoring von Patienten.
Großes Potential für telemedizinische Produkte
Der Markt für Medizinprodukte hat vor allem im Bereich Prävention und ambulante Versorgung großes Potential. Hier wird es darauf ankommen, den Bedürfnissen von Patienten und Ärzten gerecht zu werden und sie über das Produkt hinaus mit passgenauem Service auf dem Weg der Telemedizin zu begleiten.
Mit strategischem Health Care Marketing gelingt es, das ganze Potenzial von telemedizinischen Produkten auszuschöpfen.
Quellen:
http://www.mercyvirtual.net/safe-watch/
https://ehealthblog.de/2015/02/02/telemedizin-was-deutschland-von-der-schweiz-lernen-kann/
http://www.medgate.ch/de-ch/home.aspx
https://www.aerzteblatt.de/archiv/170529/Alternde-Bevoelkerung-Einmal-mehr-Vorbild-Skandinavien
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/74271/Patienten-bevorzugen-ambulante-Versorgung
http://www.healthrelations.de/healthcare-wearables/
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/e-health-gesetz/e-health.html
Spiegel-Artikel, 30/2017: Sensoren im Stützstrumpf,
https://magazin.spiegel.de/SP/2017/30/152270425/index.html?utm_source=spon&utm_campaign=centerpage